Beijings „Unorte“

Leider gibt es nicht nur „Lieblingsorte“ in Beijing, es gibt auch einige „Unorte“, Orte, die  unangenehm sind, die einmal schön waren, die aber mittlerweile auf die eine oder andere Weise „kaputt“ sind, entweder „kaputt kontrolliert“ oder „kaputt saniert“ oder im schlechtesten Fall beides.

Der Tiananmen-Platz gehört dazu – leider, leider. Eigentlich ein herrlicher Ort, unfassbar weitläufig, vielleicht der größte innerstädtische Platz weltweit, mit chinesischer Flagge, Revolutions-Denkmal, Mao-Mausoleum, Nationalmuseum und Nationalversammlung, im Norden das Haupttor zum Kaiserpalast, durch das der Kaiser den Palast verlassen hat, wenn er auf Inspektionsreise ging, wo rechts und links die kaiserlichen Ministerien angesiedelt waren, wo kaiserliche Erlasse verkündet wurden. Hier hat auch Mao Zedong am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik verkündet, hier fanden die großen Aufmärsche und Militärparaden statt. Mehr Symbolik, mehr Pracht – zeitgenössisch wie historisch – geht nicht. Leider ist der Platz „kaputt kontrolliert“ und „kaputt modernisiert“. Nichts darf an die studentischen Unruhen im Jahr 1989 und deren blutige Niederschlagung erinnern. Taschen- und Jackenkontrollen an allen Eingängen verursachen lange Warteschlangen, mehrfache Gitter versperren den Weg zwischen Fahrbahn und Platz, damit der Autoverkehr nicht beeinträchtigt wird, überall Polizei, Militär, Polizisten in Zivil, Videokameras, man fühlt sich unablässig beobachtet, gelenkt und gegängelt. Restaurants, Kaffees oder Teestuben gibt es nicht mehr, auch nicht in den angrenzenden Straßen. Um 17 Uhr wird der Platz geräumt, alle Besucher müssen ihn durch einen einzigen Ausgang verlassen, der zusätzlich durch Rollgitter verengt wird. Was für eine unangenehme, beklemmende, angespannte Stimmung.

Auch die Qianmen-Straße südlich des Tiananmen-Platzes, würde ich dazu zählen. Früher war sie eine quirlige Geschäftsstraßen in Beijing Chinesenstadt, die vom Zhengyang-Tor Richtung Süden führte. Vor ein paar Jahren ist sie saniert worden, „kaputt saniert“. Die ersten  Häuserreihen wurden abgerissen. An ihrer Stelle stehen jetzt kulissenartige, verklinkerte Betonbauten, angeblich nach historischem Vorbild gebaut. In den unteren Stockwerken sind westliche Brands à la Starbucks, H&M oder chinesische Traditionsunternehmen wie der Stoffschuhhersteller Neilian Sheng oder das Pekingenten-Restaurant Quan Ju De. Eine pseudo-alte Straßenbahn bimmelt sich den Weg durch die Touristen. Die große Qianmen-Straße ist zu einer Art „China History Shopping Park“ mutiert. Wenn wenigstens das funktionieren würde. Viele Läden stehen schon wieder leer oder sind gar nicht bezogen worden, da die Behörden wie so häufig am Bedarf vorbei geplant haben. Die Bausubstanz lässt zu wünschen übrig, sodass die zahlreiche Gebäude schon wieder am Verfallen sind. Was passiert, wenn der Verfall fortschreitet? Wird dann wieder alles abgerissen und wieder neu gebaut? Von der alten Bausubstanz, auf die man hätte aufbauen können, ist jedenfalls nichts mehr da.

Das Riesenrad im Chaoyang-Park ist ein dritter „Unort“. Eigentlich sollte es das größte Riesenrad der Welt sein und zur Olympiade 2008 eröffnet werden. Aber dazu kam es nicht. Heute ist das Areal weiträumig abgesperrt und rottet vor sich hin, wie eine ganze Reihe von unfertigen, leerstehenden oder ungenutzten Gebäudekomplexen in der Stadt. Wie im ganzen Land gibt es auch in Beijing eine Reihe sogenannter „Geisterstädte“, Fehlinvestitionen, Fehlplanungen, halbfertige Wohnviertel, die einfach leerstehen, allmählich zuwachsen, vergammeln. Schade um die verschwendeten Ressourcen, um die fehlgeleitete Investition, um den verschwendeten Raum. Beijing ist zwar groß, aber auch nicht so groß, dass es ganze Wohnanlagen und Gebäudekomplexe leer stehen lassen könnte.

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